Sonntag, 30. Juli 2017

Vom Funktionieren

Ich funktioniere. Ich funktioniere meistens. Ich funktioniere, wenn es mir nicht so  besonders gut geht. Wenn ich mal einen schlechtern Tag habe oder mies gelaunt bin. So, wie wir das alle tun. Die Nerven sind dann zumeist daheim ein wenig gespannt, aber wer kennt das nicht. 
Ich funktioniere jedoch auch, wenn das Dunkel aufzieht. Wenn mir die Luft zum Atmen wegbleibt, wenn der Schlaf kein erholsamer mehr ist, wenn ich denn überhaupt schlafen kann. Wenn die Träume verrückt spielen, und ich von einem Alptraum in den nächsten schlittere. Nicht eine Nacht, sondern nahezu jede. Ich funktioniere, wenn die Leere Besitz von mir ergreift, wenn sich mein Sein vernebelt. Wenn die Geräusche zu laut sind, das Licht zu hell. Wenn es mühsam ist, einem Gespräch zu folgen, weil sich die Konzentration so sehr auf die basics des eigentlichen Seins konzentrieren muss, dass kaum noch Platz für Anderes bleibt. Ich funktioniere, wenn mir die Glieder schwer sind vor der Last des Alltags. Ich funktioniere, wenn meine Gedanken nicht stillstehen können und mich schier in den Wahnsinntreiben und nur noch das stille Zählen von Dingen ein wenig Rast in das Gedanken-Karussell bringt. Ich funktioniere, wenn ich innerlich längst zusammengekauert in der Ecke hocke und mich nach Beruhigung sehnend vor- und zurückwiege. Ich funktioniere einfach weiter und putze die Fassade. Wer mich nicht näher kennt, bemerkt das nicht mal. Und die, die mich kennen, bemerken es oft nur dann, wenn sie genau hinschauen. 
Das Funktionieren ist so ein Ding mit zwei Seiten. Ich funktioniere immer lange. Viel zu lange. Denn in den meisten Fällen stürze ich danach tief, sicherlich tiefer, als ich gestürzt wäre, wenn ich denn früher innegehalten und mich gekümmert hätte. Oder mich versucht hätte zu kümmern. Oder in vielen Fällen Hilfe in Anspruch genommen hätte. Letzteres ist ein Punkt, den ich möglichst lange hinauszögern will. Immer. Denn es liegt mir gar nicht, überhaupt Hilfe zu benötigen, geschweige denn anzunehmen oder gar aktiv danach zu fragen. Ich möchte alles mit mir selber ausmachen, alles selber schaffen, niemandem zur Last fallen. Mich in schlimmen Zeiten niemandem zumuten. Und ich will mich gar nicht erst zeigen. Will nicht offenbaren, was denn unter dieser Fassade tatsächlich ist. Die Fassade ist nicht eine gänzlich falsche, die Fassade bin auch ich, sie gehört auch zu mir und meinen eigentlichen Empfindungen Aber in vielen Momenten ist sie eben nicht authentisch, weil es im Innen gerade ganz anders aussieht. 
Da sind aber auch Zeiten, in denen mich das Funktionieren und die Fassade hochhalten. Mir Struktur geben, mir einen geregelten, bekannten Alltag ermöglichen, der mir Sicherheit gibt, an dem ich mich entlanghangeln kann, wenn im Innen das Chaos tobt. Oder die Leere. Oder das Dunkel. Wenn mir der Nebel die Sicht nimmt, kenne ich mich in meinem Alltag so gut aus, dass ich ihn dennoch bewältigen kann. Und hier kommt die Crux - wo hört das "gute" Funktionieren auf, das Sicherheit gibt, und wo fängt das "schlechte" Funktionieren an, das mich weit über alle Grenzen treibt? Nach all den Jahren, in denen mich verschiedene, psychiatrisch titulierbare Seelenzustände eng begleiten, fällt es mir immer noch schwer, das herauszufinden. Es ist immer noch schwer, mich selber wahrzunehmen und zu bewerten in einer Depression, in dissoziativen Zuständen sowie Belastungszuständen, um eben dann die Formen des eigenen Funktionierens  voneinander abzugrenzen zu können.
Darüber hinaus drängt die eigene Situation mich oft dazu, auf jeden Fall zu funktioneren - ganz ab von meinem Berufsleben. Denn mein eigentlicher "Hauptjob" ist entfernt von einer Arbeitsunfähigkeit: 
Ich liebe es, Familie zu haben. Und mir ist nie etwas Schöneres passiert, als Mutter sein zu dürfen. Aber ich habe auch noch nie etwas Schwereres getragen. Auch in schlimmen Phasen muss es zu Hause weitergehen, muss es einen Alltag für die Kinder geben, muss ich als Mutter "da" sein, auch wenn ich gar nicht mehr kann. Das ist zumindest mein Anspruch an mich, und der ist ein Stück weit auch okay so. Aber irgendwann kommt auch hier wieder der Punkt, an dem ich vor der Frage stehe, ob das Funktionieren noch ein "gutes" und "tragbares" für mich ist, oder ob ich mit dem mir selber auferlegten Funktionieren-müssen alles nur noch verschlimmere. Dummerweise kam diese Frage bisher selten wirklich in solchen Situationen auf. Ich kann sie tatsächlich zumeist erst rückblickend reflektiert betrachten. Wobei es dann im Regelfall bereits zu spät ist. 

Das Funktionieren kann ein Segen sein, der mir den Kopf über Wasser hält. Und ein Fluch, weil es mich , den Kopf gut über wasser halten könnend, weit ins offene Meer treiben kann, bevor dann heimtückisch von unten der Strudel kommt, der mich doch in die Tiefe zieht. 

Immerhin weiss ich darum. Ich weiss sogar gut darum. Aber Wissen heisst nicht, dass ich in der Lage bin, dieses auch an mir selber anzuwenden. Es wird besser, von Mal zu Mal. Aber es erfordert ein ewiges Auf-der-Hut-sein, was wiederum immer auch ein Stück weit Energie kostet.

Und im Regelfall läuft all das unbemerkt ab von aussen - und das ist wohl einer der Gründe, weshalb so wenige Menschen auch nur annähernd einen Blick dafür haben, was es bedeutet, depressiv zu sein, psychisch krank zu sein. Denn so vieles passiert einfach im Verborgenen - unsichtbar für die Augen Anderer.

Mittwoch, 26. Juli 2017

Eingeschlafen

Der Tod kam in der Nacht und ließ ihn ganz in Ruhe einschlafen. So, wie ich es angesichts der Erkrankung nicht zu hoffen gewagt hatte. Eigentlich hatte er zu Hause  sterben wollen, was leider nicht der Fall war. Ein, zwei Tage noch sollte er im Krankenahus bleiben. Und dann ist er dort gegangen, am frühen Morgen vor zehn Tagen. Neben der Trauer und Unwirklichkeit in der ich selber mich befand und  befinde, steht der Versuch des ehrlichen und pragmatischen Umgehens mit dem Tod, mit einem toten Körper, der Trauer und den Kindern. Das gemeinsame Anschauen von Särgen und Urnen, das Verabschieden. Dem Opa noch Dinge mit auf den Weg geben, ein Briefchen unter seine Decke von jedem von uns, vor allem den beiden Mädchen. Damit der Tod nicht ein in der Luft stehendes Etwas ist, sondern begreifbar. Sofern er denn überhaupt begreifbar sein kann - fällt es mir selber doch schwer, mich zu erinnern, dass er nicht mehr bei uns ist, dass das Zusammenleben zu Hause sich nun verändert. Sein Stuhl bleibt leer und ich weiss, wir alle werden liebevoll an ihn denken, wenn wir uns auf seinen Platz setzen. Ich bin dankbar für die Zeit. Dankbar, dass er mir Zeit geschenkt hat, dass er Zeit mit unseren Kindern hatte und sie mit ihm. Er war zwar ein alter Mann - aber dennoch ist der Zeitpunkt wohl niemals richtig, einen Menschen zu verlieren, auch wenn ich weiss, dass dieser ein Leben, ein langes Leben lang gelebt hat, so schmälert es doch nicht den Verlust des Menschen ansich. Ich weiss, dass er stolz auf mich war. Ein Stolz, der vor allem in den letzten Wochen noch gewachsen ist. Ich weiss, dass ich geliebt wurde. Und ich weiss um seine Wertschätzung. Das ist ein schönes Gefühl und nicht selbstverständlich, weil ich gar nicht seine Tochter war, sondern ihn erst mit 12 Jahren kennenlernte, und sich erst nach und nach eine Vater -Tochter Beziehung entwickelte. Endgültig Abschied nehmen werden wir in zwei Wochen an einem von ihm viel bereisten Ort in der Kieler Förde - der Ort, an dem wir neulich noch gemeinsam waren. Und es war gut so.

Montag, 24. Juli 2017

Inselliebe

Seit ich mit Herrn NebeL zusammen bin, gibt es genau ein einziges Urlaubsziel, an dem wir uns uneingeschränkt wohlfühlen. Einen Ort, wo wir ankommen und quasi sofort auf Ferienmodus gepolt sind. Dort ist genau das, was wir beide unter Urlaub verstehen - nämlich Ruhe. Es gibt wenige Menschen, wenige Geschäfte. Keinerlei Einkaufsstrassen. Keine Autobahn, wenig Verkehr. Es gibt leere Strandabschnitte, und wenn man an unserem Hausstrand drei Menschen trifft, dann ist es schon gut besucht. Auf einer 118 Quadratkilometer großen Fläche - etwa 2/3 unserer Heimatstadt, die 345.000 Einwohner hat - leben keine 2000 Menschen. Sicherlich gibt es viele Ferienhäuser, aber diese stehen zumeist weit voneinander entfernt und oft gut geschützt. Und in der Gegend, in der wir dann wohnen, bemerkt man keinen wahren Betrieb. An anderen Ecken bemerkt man das sicherlich deutlich mehr. Wir steigen aus dem Auto und oftmals nutzen wir es in den uns immer dort verbleibenden drei Wochen nicht. Wir radeln täglich, sind täglich am Strand, und einer von uns fährt wohl auch fast täglich ein paar Minuten, um den Sonnenuntergang anzuschauen. Es gibt unendlich viel Heidekraut, was zumeist blüht, wenn wir da sind.



Einer unserer Lieblingsplätze ist die Hafenmole im Osten der Insel. Stunden verbringen wir hier, essen Fischfrikadellen oder Kekse, schauen den Seglern und Fischern beim Ein- und Auslaufen zu. Meistens leben die Schwiegereltern im Haus nebenan und wir treffen uns oft zum Kaffee oder Abendessen, was mal wir und mal sie zubereiten. Wir lesen und häkeln und malen und spielen. Jedes Jahr gehen wir an dieselben Plätze - die Salzsiedehütten, auf einen Hof in der Mitte der Insel zum Kerzenziehen, an das äußerste Südostende der Insel, auf den Spielplatz im Yachthafen zum Beispiel. Und jedes Jahr finden wir einen Ort, eine Stelle, die wir noch nicht kannten und die wir mögen. Die Sonne geht fast eine Stunde eher auf als daheim und die Nacht ist lange Zeit deutlich heller. Nur mitten drin ist es wirklich dunkel, und wenn es sternenklar ist, blinkt über uns ein prachtvoller Himmel - zudem auch oft mit einigen Sternschnuppen. Wir kennen das Haus, das Haus der Schwiegereltern und müssen uns auf nichts Ungewohntes einstellen. Genau das ist unser Ort, im dänischen Kattegat, die letzte Insel vor der Nord Ostsee Passage. Das ist der Ort, den ich verbinde mit 3 Wochen Erholungsurlaub im Sommer. Ein um die andere Woche im Jahr sind wir auch ganz woanders und urlauben anders, aber der Sommer, der gehört Læsø.







Donnerstag, 13. Juli 2017

Von Papieren und vom Handeln

Dinge wie Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachen, Betreuungsverfügungen und dergleichen lassen den Laien recht ratlos auf Papiere und Vordrucke blicken. Und zudem erledigen sie sich niche "eben so". Seit langem wird das Thema hier immer wieder angesprochen. Die Notwendigkeit. Immer wurde ihr zugestimmt. Passiert ist nichts. Es ist schwer, der Endlichkeit ins Auge zu sehen, erst recht, wenn man selber betroffen ist. Umso wichtiger jedoch die Vorsorge, dass im eigenen Sinne gehandelt wird. Auch dann, wenn man selber seine Wünsche nicht mehr zu vertreten in der Lage ist. Dazu aber muss geredet werden. Und der Mensch, der sowieso ungerne über sich redet, der Mensch, der sich in einer schweren Belastungssituation befindet hat damit sicherlich große Mühe. Eben solche Gespräceh dennoch von aussen zu forcieren ist nicht so einfach. Ich zumindest hatte immer das GEfühl, weit in die Persönlichkeitsrechte des Vaters vorzudringen, je näher ich mich an diese Dinge wagte. Ihn zu zwingen zu Dingen, die er lieber weit, weit fortschieben wollte. Das machte es mir nicht einfacher. Manche Wünsche kannte ich. Die meisten Wünsche vermutete ich. Aber dies hätte rechtnlich niemals auch nur den geringsten Bestand, da ich von Rechts wegen von dem Mann, den ich hier Vater nenne, einfach gar nichts bin. Um so wichtiger also waren gültige Papiere....
Heute ließ ich alle Bedenken und Vorbehalte dazu fallen. Er war gut drauf und mitten im Hier und Jetzt und ich besprach, erklärte und kreuzte auf Anweisung hin an. Pragmatisch, ehrlich und offen. Und wir konnten manche wichtigen Papiere ausfüllen. Wir besprachen seine und unsere Bestattungswünsche. Mittendrin half ich beim Aufstehen, beim Umlagern im Bett, beim Toilettengang. Völlig frei und selbstverständlich. Und er liess mich nicht nur gewähren sondern konnte all dies in Ruhe und Dankbarkeit und Selbstverständlichkeit annehmen. 
Die wohl beste Lösung, ihn gut zu versorgen, wäre die Inanspruchnahme von Pflegezeit - unbezahlten Urlaub vom Job, um ihn zu pflegen.  Dies ist aber nur möglich bei Angehörigen - was wir ja eben nciht voneinander sind. So hoffe ich, dass wir in der Lage sein werden, ihm dennoch seine Wünsche weitestgehend eben mit Hilfe der ambulanten palliativen Pflege zu ermöglichen, oder dies eben so lange es geht. 
Ich bin nah dran mit meinem Herzen. Aber ich bin eben auch ein Stück weit professionell. Kenne manchen Kniff und Trick und die richtige Bewegung. Medizinische Begriffe und Behandlungen sind mir nicht fremd. Hier und da mögen auch ein gutes Auge und eine realistische Einschätzung der Situation dazu kommen, wenn auch gewiss nicht immer. Aktiv sein und Dinge in diesem Bereich zu regeln, fällt mir nicht schwer. Ich bin die Handelnde. Aber ich lerne auch, zu deligieren, weil ich gar nicht alles alleine schaffen kann. Und es auch gar nicht will. Tatsächlich verzahnt es sich hier aber genau dadurch, dass ich beginne, die Anderen, die zumeist hilflos sich fragen, was sie tun können, zu versorgen mit Aufgaben. Und viel wichtiger dabei ist, dass es sich ergänzt und dadurch weit umfassender werden kann, als ich allein es leisten könnte. HerrNebeL findet, ich mache das alles verdammt gut, ich aber finde, WIR machen das alles wirklich ziemlich gut. nd ich hoffe, dass wir genau das gemeinsam durchhalten können. Bis zum Schluß.

Montag, 10. Juli 2017

Durcheinander

Der Alltag hier ist derzeit ein Durcheinander des steten Alltages - Arbeiten für HerrnNebeL und mich, Schulalltag und Freizeitaktivitäten der Kinder - beides mit allem Drum und Dran - gekoppelt mit der zunehmenden Hilfe- und Pflegebedürftigkeit meiner Eltern. In den letzten Wochen ging es in jeder freien Minute um die Feststellung des Bedarfes an Hilfe, Beantragung von Pflegegrad, Gespräche mit ambulanter Palliativpflege, Gesprächen mit Ärzten, den Eltern, dem Vater, der Mutter. Und efertig sind wir damit noch nicht... Es ging und geht um Ideenfindung, wie wir was organisieren müssen, wie wir wem von beiden helfen müssen. Wo wir Hilfe brauchen. Und wo wir Hilfen bekommen. Ein bürokratischer Aufwand sondergleichen. Zudem ist das Führen von Gesprächen mit Ärzten oder anderen Personen recht schwierig, wenn man selber im  Beruf steht und noch nach den Kindern schauen muss. Abends ist selten noch ein Verantwortlicher zugegen - selbstredend nicht. Irgendwann letzte Woche schrieb ich einfach einen Zettel mit der Anregung verschiedenster durchaus gravierende Dinge - die mein Vater nicht mehr besprechen konnte und meine Mutter leider weder verstand und zudem vergaß. Es ging um Schluckstörungen, um Morphine und parenterale Ernährung. Ich legte diesen also ins Krankenzimmer, erklärte mich dem Vater nochmals, dessen Wünsche dahingehend mir bekannt sind und nahm ihm das Versprechen ab, den Zettel einem verantwortlichen Arzt in die Hände zu drücken. Was er auch tat. Glücklicherweise kam kaum später meine Schwester dorthin und konnte nochmals das Ganze auch persönlich erklären. Und siehe da, endlich wurden Morphine angesetzt und bei Notwendigkeit der Wunsch der unterstützenden Ernährung aufgegriffen. Eine durchaus unkonventionelle Art der Arzt-Angehörigen Kommunikation, aber nun, einfach ist es eben einfach nicht. Und mir, uns war es wichtig, endlich eine weitestgehende Schmerzfreiheit zu erreichen. Kein totkranker Mensch sollte auch noch Schmerzen haben müssen, wenn dies eben abgewendet werden kann... Neben all der ganzen Organisation noch Tochter sein, begleiten, allen gerecht werden. Und neben der Krebsgeschichte noch die Demenz der Mutter tragen, Diagnostik anleiern - was das eine ist und auf den Weg gebracht - auch das Tragen des Alltags mit einem Menschen, der viele klare Momente hat, aber leider zunehmende Lückenmomente. Momente, die das tägliche Kontrollieren notwendig machen an vielen Stellen. Die Umrüstungen im Haus notwendig machen, um vorzusorgen. Vor allem aber - das Aushalten. 
Es ist schwer, auszuhalten, wie der Vater abbaut. Zu sehen, wie er Schmerzen hat, wie er sich verschluckt, wie er nichts mehr isst. Wie er kaum trinkt und eintrübt. Wie er völlig schläfrig weit, weit fort ist bei einem neuerlichen Infekt bei Leukopenie. Wie er immer mehr abwesende Momente hat. Wie er sich selber wundert, dass ihm einzelne Tage - Tage an denen es ihm schlecht geht - einfach verliert, obwohl er eigentlich kognitiv noch recht gut dabei ist. Langsam, aber dabei. Wie er nicht mehr gehen kann. Oder schreiben. Wie sehr es ihm weh tut, das nicht mehr zu schaffen. Wie er Hilfe braucht beim Aufstehen und Umsetzen. Auch, wie er überrascht ist, dass ich genau das kann - mein Arbeits-Ich ist der Familie ja fremd.
Schwer ist das, und weh tut es auch.
Aber viel schwerer auszuhalten sind die Gedankensprünge der Mutter. Das so sehr verlustig gegangene Kurzzeitgedächtnis. Das tagtägliche, stündliche, ja ewige Suchen von Irgendetwas.  Die kaputten Schallplattengespräche. Das Miterleben, wie sehr gewohnte, jahrelang gewohnte Tätigkeiten sich durchmischen, strukturlos werden und ihre Form verlieren. Das Umschlagen der Stimmung. Das Nicht-mehr Verstehen von Zusammenhängen und das gleichzeitige Durcheinanderbringen dessen, was sie verstanden hat. Fehlende zeitliche Orientierung. Störungen im Sprachverständnis. 
Das alles macht mir noch viel, viel mehr Mühe. 
Ich bin zudem aufgrund der räumlichen Nähe immer mittendrin. Da sind kaum noch Pausen für mich selber, keine Ruhe, keinerlei Abstand. Es zehrt, wenn auch das "da -sein" für beide selbstverständlich ist. Es ist schwer, geduldig zu bleiben, wenn auch bestimmt, aber eben geduldig mit ihr. Vor allem: es gibt keine Rast, nichts zum Auftanken. Alles, was es gibt, ist das Wissen, dass erstmal alles nur noch schlimmer werden wird, bevor das Ende kommt.

Mittwoch, 5. Juli 2017

WMDEDGT - Juli 2017

Gestern Abend erinnerte mich das große Kind bereits daran, dass ich heute wieder schreiben muss - und hatte somit die Tagebuchbloggerei von Frau Brüllen besser auf dem Schirm als ich :). Selbige fragt nämlich an jeden 5. des Monats: "Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?"

Mein Tag startete netterweise mit einer durchgeschlafenen Nacht, wenn sie auch ein klein wenig zu kurz war. Das große Kind verließ wie jeden Wochentag als erste das Haus, um zum Bus zu gehen. HerrNebeL, das kleinere Mädchen und ich gingen gemeinsam zum Auto - ich machte mich heute auf den Weg zur Arbeit, HerrNebeL brachte vor seiner Arbeit erst das Mädchen in den Nachbarstadtteil zur Schule.
Bei der Arbeit angelangt, schmiss ich mich in die Arbeitskleidung (gar fürchterlich polyesterhaltige Poloshirts in blau und eine weiße, mit viel zu wenigen Taschen bestückte Hose), fuhr den Rechner hoch, checkte meinen Arbeitsplan und quatschte mit der Bürokollegin. Vor der Frühbesprechung auf Station begleitete ich die neue Kollegin  der Sprachtherapie, die am Montag erst begonnen hat, in die Wäscherei, um ihr neue Arbeitskleidung zu besorgen und alles zu zeigen.
Der Frühbesprechung wohnte heute die neue Oberärztin bei, die entgegen meiner Befürchtung bisher auch im somatischen Bereich fit zu sein scheint und zudem sehr nett und offen ist (und nur ein Jahr älter als ich. Aber ich sähe viiiel jünger aus, sagte die Kollegin der Ergotherapie. Nun ja, find ich jetzt nicht, aber ehrte mich dennoch). Nach der Frühbesprechung war der Plan, mich von einem Patienten und seiner Familie zu verabschieden - der war aber leider bereits abgereist, was mir so ein klein wenig den Morgen verdarb, weil ich mich gern persönlich verabschiedet hätte. Aber nun, so läuft das halt manchmal. ABer dass ein Pateint vor neun Uhr alles gepackt hat und abgeholt wird konnte ich nun auch nicht ahnen. Am Vormittag behandelte ich dann 7 Patienten, die alle mit Sprachstörungen nach Schlaganfall, Schädel Hirn Trauma oder einer Hypoxie zu kämpfen hatten. Zum Teil ging es darum, erst mal den Ist-Status zu erheben und eine genaue Diagnose zu stellen, zum Teil waren wir schon mitten drin in der Therapie. Zwischen Tür und Angel organisierte ich nach einem Anruf meiner Mutter noch die Einweisung meines Stiefvaters ins Krankenhaus - was recht genaue Handlungsanweisungen an meine Mutter beinhaltete, die zu konfus war, das alleine zu regeln. Glücklicherweise war meine Tante vor Ort, um ihr ein wenig unter die Arme zu greifen, sodass ich nicht gezwungen war, spontan Überstunden zu nehmen und alles selber vor Ort zu klären. Im günstigen Fall geht es nun nur um eine ausreichende Flüssigkeitssubstituierung und im schlechteren Fall wird man ihm möglicherweise noch eine Antibiose angedeihen lassen. Morgen werde ich das im Krankenhaus abklären.
Mittags hatte ich feines Essen - Reste vom Vortag. Eine Ingwer-Gemüse-Pfanne mit gehacktem Tofu und Reis. Entgegen meiner Gewohnheit keine Tütensuppe - die wurde nämlich aus dem Angebot des Supermarktes genommen, was  mich schon ein ums andere Mal etwas ratlos dort herumstehen ließ - sier erinnern sich vielleicht - FrauNebeL liebt Gewohnheiten :-). Am Nachmittag sollte ich eigentlich drei Patienten behandeln - eine Neuaufnahme bedurfte aber gar keiner sprachtherapeutischen Hilfe, was mir ein wenig Zeit zu zwei weiteren Telefonaten mit meinen eigenen Therapeutinnen verschaffte. Den dritten Patienten, der eigentlich im geschützten Bereich neu aufgenommen war - fand ich gar nicht erst. Was durchaus auch eine Kunst ist in einem Stationsteil, der eben verschlossen ist.... Der Kollege der Sporttherapie war mir offensichtlich zuvorgekommen (und hatte den Plan des Patienten nicht beachtet) und ihn mit zu einer Bewegungsgruppe genommen. Aufgrundessen suchte ich erst die in Frage kommenen Plätze IN der Klinik auf und begab mich dann ins Gelände UM die Klinik, um den Herrn zu suchen - leider erfolglos. So musste ich eine freundliche Nachricht an den Sportkollegen hinterlassen, nächstens besser die Therapiepläne ztu studieren ;-). Um kurz nach drei zog ich mich um, vergaß, meine Tasse zu spülen, was mir just beim Schreiben auffällt, räumte Materialien weg und wischte die Tische.
Um zwanzig nach drei saß ich im Auto und fuhr zur Schule des kleinen Kindes, um sie abzuholen. Eine Stunde später waren wir daheim und ich suchte diverse Krankenunterlagen zusammen, weil um 16:30 ein Termin mit einem Palliativ-Pflegedienst für meinen Vater anstand. Inzwischen benötigen wir hier zu Hause Hilfe für ihn bei diversen Dingen und aufgrund der Progredienz der Erkrankung wird dieser Hilfebedarf in naher Zukunft noch größer werden. Das Gespräch war sehr informativ und entlastend und die Entscheidung für diesen Pflegedienst ist auch in Abwesenheit des Stiefvaters - mit seinem Einverständnis - gefallen. Auf jeden Fall bedeutet das eine große Entlastung für mich in der Notwendigkeit, mich arg um die Eltern kümmern zu müssen.  Ein kleines Aufatmen.
Das große Kind briet Spiegeleier für alle, während HerrNebeL heimkam und ich mich noch mit meiner Schwester unterhielt, die ebenfalls beim Gespräch dabei war.  Die Familie NebeL aß zu Abend, während ich tippte und meine Geldbörse umräumte - heute kam nämlich eine neue, hübsche Börse für mich an, weil sich die alte in viele Einzelteile auflöst. In einer halben Stunde werde ich loisfahren und meine Freundin und Ex-Arbeitskollegin treffen, die bald für eine lange  Weile das Land verlässt, um in weiter Ferne auf einer Farm zu arbeiten. Sicherlich wird es dann heute Abend viel zu spät werden, aber ich bin mir sicher, dafür wirds schön  :-).

Weiter Tagebuchboggerein wie immer hier, bei Frau Brüllen.