Sonntag, 24. September 2017

Aushalten



Aushalten
halten bis es aus ist,
halten bis es aufhört,
halten bis es
nichts mehr zu halten gibt.
Wie kann etwas aufhören zu sein,
wenn es gehalten wird?
Wie kann also Aushalten
ein Ende haben?
Wie soll ich das Aushalten
aushalten können,
wenn kein Ende
des Aushaltenmüssens
in Aussicht ist?
                                                                  ©Frau NebeL 2001

Dienstag, 12. September 2017

Willkommen

Willkommen sein. Ein gutes, schönes tragendes Gefühl. Ich fühle mich an vielen Stellen willkommen. Mein Lächeln, meine Geduld, meine Art. Manchmal auch mein Humor. Meine Empathie. Meine Fähigkeit zuzuhören. Mein Wille, mich einzusetzen für irgendetwas,das ich als wichtig erachte, zumeist meine Mitmenschen. Ich bin willkommen als Zuhörer. Bin willkommen als jemand, der an vielen Stellen vieles meistert. Bin willkommen als jemand, der "da" ist für Andere. Auf jeden Fall trägt das.
Aber so manches Mal fühle ich mich nicht willkommen. Ich fühle mich nirgends mehr willkommen, wenn das Licht erlischt. Wenn es dunkel wird in mir. Wenn meine Gedanken und Gefühle befremdlich sind. Wenn ich nicht mehr einfach zu sein scheine, sondern scheinbar plötzlich kompliziert. Wenn mein Erleben sich nicht mehr deckt mit dem der anderen, Wenn meine Welt zu laut ist und zu hell. Wenn ich zurückschrecke vor unerwarteten Berührungen, wenn ich erschrecke bei unerwarteten Bewegungen und Geräuschen. Wenn da Dinge sind, von denen ich weiss, dass sie nicht sind. Es ist nicht nur mein Rückzug, mein Rückzug, der im krank sein begründet liegt und nur durch viel Kraft überhaupt an der ein oder anderen Stelle überwunden werden kann. Es ist auch der Rückzug der Anderen. Weil ich wunderlich bin, Weil manch einer nicht weiss, was er tun soll. Weil manch einer sich distanziert von diesem anstrengenden Sein, das in mir wohnt. Ich fühle mich zuviel.  
Und es ist wieder und wieder dasselbe: da ist kein Raum für das Anders sein. Da ist kein Raum für Fehl-erleben. Da ist kein Raum für Wunderlichkeiten. Da ist kein Raum für Dunkelheit, da ist kein Raum für befremdliche Gedanken. Ich fühle mich raumlos und menschenfern. Nicht angenommen mit allem, nur das Einfache und Gute hat Platz. Vielleicht mag das unfair klingen, da ich ja weiss, dass manch einer sich bemüht, manch einer an dieser oder jener Stelle auch etwas sagt.  Manch einer anbietet: hey, ich bin da. Zumeist aber ist die Entfernung - selbst oder gerade wenn es zu Momenten kommt, in denen ich zeigen kann, was ist - groß und vergrößert sich eher noch. 
Ich bin haltlos in einem Leben, das ein dunkles ist und mir mehr abverlangt als ich auf Dauer zu tragen vermag. 
Ausgesucht habe ich mir das nicht. Ein wenig bin ich vielleicht so geboren, vor allem aber hat mein Leben mich zu dem gemacht, was heute ist.  Ich kann mich nicht entscheiden, mit oder ohne Erkrankung zu leben. Ich habe mich nicht entschieden, zu erkranken. Manchmal kann ich entscheiden, wieviel Raum ich ihr gebe. Oft aber bin ich entscheidungs- und machtlos. Und kann nur sehen, wie ich klarkomme. Wie ich überlebe.

Sonntag, 10. September 2017

Pläne und Realitäten.

Eigentlich war mein Plan, dieses Wochenende quasi nichts zu tun. Die einzige Verabredung traf ich im Vorfeld mit meinem Fernseher, um das BVB Spiel am Samsatg anzusehen. Bitter nötig ist mir eine Pause. Das ist insgesamt schwierig, weil die verschiedenen Situationen das nicht hergeben - Leben im Mehrgenerationenhaus, Schlafen im familialen Wohnschlafraum, viele zu erledigende Dinge bei laufendem Erbstreit, und zusätzlich einem rastlosem Inneren bei viel zu vielen dunklen eigenen Gefühlen undsoweiterundsofort. Aber vorgenommen hab ich es mir immerhin...
Fakt war dann, dass ich mittags der Mutter bei diversen Dingen half, K2 zur Geburtstagsparty brachte, eben noch schnell vergessene Einkäufe erledigte, zudem K1 eine dringend benötigte Sweatjacke kaufte und mit dem Gatten gemeinsam die Waschmaschine wieder herrichtete (sie pumpte kein Wasser mehr ab). Aber - dann sollte ja der Nachmittag kommen. Ich frühstückte Chips (weil Essen vor dem Nachmittag momentan einfach nicht geht) vor dem laufenden BVB Spiel, bis nach einer Viertelstunde die Mutter zu mir nach oben kam. Fortan schauten wir gemeinsam, bestellten spontan Sushi zum Abholen, aßen selbiges nach dem Spiel und gingen mit dem kleinen Kindelein aufs Pfarrfest nebenan, wo das große Kind und HerrNebeL bereits für den Verkauf grillten.
Bis auf die Hilfe am Mittag (die viel Geduld erforderte) war das eigentlich recht entspannt. Fort von daheim führten wir bei einem Glas Wein (die Mutter) und 2,3 Cocktails (ich) schöne Gespräche. Darüber, wie wir die Welt sehen, den Erbstreit beurteilen. Darüber, wie wir meinen Vater, ihren Mann empfanden. Und manches von früher.
Es ist schön, so mit ihr zu reden. Zumal ich dann auch in den Hintergrund drängen kann, wie hilfsbedürftig sie an so vielen Stellen ist. Natürlich hat sie immer noch ihre Empfindungen, Meinungen, die aus ihr heraus kommen und nicht die, die plötzlich aufpushen, wenn etwas zu schnell geht oder zu viel wird - wenn sie, um sich aus der Bedrängnis zu kämpfen an Stellen, wo sie nicht mehr folgen kann, schimpfig  und irrational wird - was sie früher  niemals war. Das heute aber war so eine Gelegenheit, wo sie einfach sie selber war. Und nicht betroffen vom Vergessen. Das sind wertvolle Momente. Für sie. Für mich. Aber sie kosten mich, auch wenn sie schön sind, auch wenn ich sie als einen Lichtblick des Tages betrachten mag, ungeheuer viel Kraft.  Kraft, die ich nicht mehr habe. Vielleicht auch auf dem Boden der Erkrankung der Mutter, dem gerade verstorbenen Vater, all den Dingen drumherum und dem derzeitigen Zustand, in dem ich selber mich befinde.
Ich brauche eine Pause. Weiß ich. Aber egal, wie sehr ich versuche, für mich zu sorgen - es gelingt einfach nicht.  Da ist kein Raum.  Ich fühle mich gefangen in allem.

Ich glaub, im Moment ist es hier wirklich schwer.

Mittwoch, 6. September 2017

Immer wieder stehe ich an Stellen, an denen es mich wundert, wie einsam ich sein kann, inmitten der Familie, inmitten von Freunden, inmitten von mir vertrauten Menschen. Entfernt von allen, eingeschlossen im eigenen "mich nicht mehr seiend" - fühlen, kraftlos, leer und entrückt. Und meine Hülle rennt weiter im ewigen, ziellosen Hamsterrad der Anforderungen der Welt. Und rennt und rennt und rennt. Wundern über Einsamkeit muss ich mich wohl nicht.

Dienstag, 5. September 2017

WMDEDGT September 2017

Frau Brüllen fragt seit vielen Monaten ausgelöst durch eine Woche Tagebuchbloggen Im Frühjahr 2013, auch hier irgendwo im Archiv zu finden ;-), nun jeden 5. eines Monats: "Was machst du eigentlich den ganzen Tag?" - und ich mach gern mit. Weitere Tagebuchblogger von heute auch bei FrauBrüllen: hier.

Mein Tag begann in der Nacht mit bescheidenem Schlaf, schöner Musik und einem zu mir ins Bett krabbelndem Kindelein. Irgendwann schliefen wir dann weiter bis kurz nach sechs - ich schlief wenig besser, als das Wachen und Gedankenkarussellieren vorher war - und musste dennoch ran, das Kindelein wecken. Und wecken. Und wecken. Was mir sehr schwer fällt, wenn ich selber durch die bescheidenen Nächte recht gezeichnet bin und lieber auch die Augen ganz schnell wieder schließen würde... Um zehn vor sieben stehe ich entnervt auf und überlasse HerrnNebeL den weiteren Weck - Job und springe krieche unter die Dusche. Tatsächlich steht auch das Kindelein währenddessen auf. HerrNebeL und Kind1 treten ab und ich - um etwa drei nach sieben komplett fertig - ertrage die Muffeligkeit der kleineren Tochter. 
Um viertel nach sieben verlassen wir etwa das Haus, fahren meine Morgenration kalten Kaffee und ein Getränk für die Arbeit kaufen, düsen an der Tankstelle vorbei und ich liefere das Kind gegen 07:40 in Schulnähe ab. Anschliessend stell ich mir erst mal schöne Musik auf Dauerschleife und seeehr laut und fahre zur Arbeit. Irgendwann kurz nach acht sitze ich dann im Büro, stelle wieder die Musik auf Dauerschleife und beschäftige mich mit dem kommenden Tagesgeschehen am Rechner. Morgens nur 6 statt 7 Patienten mit einer Viertelstunde unerwarteter Pause. Diese nutzte ich dann am Ende mit einem Patienten, in dem wir leckeren Kaffee aus unserer Team Maschine tranken (der Kaffee auf der Station ist - nunja.) und unterhielten uns gut - trotz einer bei ihm bestehenden schweren Sprach- und Sprechplanungs- Störung. Zwischen diesen beiden Begebenheiten ignorierte ich die chaotischen Zustände auf meiner Station, hörte mir von etwa drei Kolleginnen verschiedene Probleme, Stressituationen oder ähnliches an und behandelte die 5 anderen Patienten.
Mittags saßen wir mit den meisten Mitgliedern des Sprachteams im Teamraum zum Essen und Trinken, ich hörte mir wiederholt blöde Sprüche zur derzeitigen Nahrungsaufnahme an (Kaffee und smoothie - wir sind gerade nicht so gut Freund miteinander, das Essen und ich) und nutzte die restlichen ruhigen 5 Minuten, als alle Raucher abdampften und die anderen anderweitige Gründe hatten, in ihre Büros zu gehen, mit der jüngsten Kollegin - einig, wie schön die Ruhe zu zweit dann doch ist .
Eine weitere Patientin behandelte ich und machte mich dann auf den Weg in die vierte Etage zum Betriebsarzt. Eigentlich, weil ich eine Impfung bekommen sollte. Zu den fehlenden Titern lagen aber gar keine Unterlagen mehr vor und so wurde mir nur Blut abgezapft, zur Titerbestimmung. Und es wurden Formalia aufgenommen. Wie jedesmal, wenn ich beim Betriebsarzt bin - in den 17 Jahren Betriebszugehörigkeit hab ich nämlich nur einen Arzt zwei mal gesehen.
Ein kurzes erstauntes Fragen zur derzeitigen Medikation ("Und Ihnen gehts gut damit?" - Äh, mh. Wie jetzt? "Ja, danke") und dann durfte ich erneut eine Patientin aufsuchen. Die bedauerte sehr, dass sie meine Hilfe nicht brauchte - eine neu aufgenommene Patientin, bei der Sprachtherapie nicht indiziert war. Und dann hatte ich erneut unerwartet fast eine Stunde Leerlauf. In der ich dokumentieren hätte können. Und den Teamraum putzen. Und Unterlagen sortieren. Ich hab mich aber zur Kollegin ins Büro gesetzt, der es ähnlich ging, und wir haben uns unterhalten.
Kurz bevor ich Feierabend hatte, irgendwann nach 15:00 Uhr, bekam ich eine email auf meinen Privataccount, in der der erwartete Erbstreit nun erstmalig nicht mehr nur zwischen den Zeilen zu lesen war. Unser Ziel hier ist eigentlich, die gesetzliche Erbfolge meines verstorbenen Stiefvaters friedlich und "ordnungsgemäß" zu lösen. Ich fürchte jedoch, das wird nicht möglich sein - die erste, dritte und vierte mail der leiblichen Tochter an mich verhärtete dieses Gefühl im Laufe des Nachmittages. Ich warte ehrlich gesagt noch auf weitere emotional geladene Schreiben. Und ich werde nicht reagieren. Weder heute noch morgen. Aber übermorgen. Betont sachlich. Wir werden sehen, was kommt. Aber ich weiss, die nächste (und übernächste) Zeit (und die danach wohl auch) wird nicht lustig werden.
Ich sammelte das Kind ein, fuhr heim und traf dort das große Kind. Wir verabredeten, dass ich sie zum Klainettenunterricht fahren  und dann nach ihrem Einkaufszettel noch fehlende Schulsachen besorgen würde. Mitten drin klingelte die Tante bei meiner Mutter, die unter mir wohnt. Die war jedoch gar nicht da, also klingelte die Tante mit Kuchen bei uns. Ein spontanes KuchenKaffeeKränzchen mit ohne Zeit, wo mittendrin zumindest die Mutter auftauchte und das Ganze dann mit der Tante weiterführte. Die Kinder und ich fuhren in die Stadt, das große Kind klarinettete vor sich hin und ich wuselte kopflos durch einen chaotisch engen, unsortieren Schulbedarfsladen (merke: dort werden NUR noch Ranzen oder Rucksäcke gekauft. Am besten auf Bestellung!). Nassgeschwitzt war nach 30 Minunten fast alles besorgt. Die Kinder mussten noch Hager und Mager stürmen, um Gutscheine auf den Kopf zu hauen - was dem kleinen Kind leider nicht gelang, da ich mich vehement gegen den Einkauf von Modeschmuckschnickeldi aussprach. Das 12 jährige Kind erstand eine schwarze Skinny Stretch Hose in 170 und damit wird bald die Kinderabteilung passe sein. Dann galt es noch, den Drogeriemarkt zu durchstöbern nach drölfzig Kleinigkeiten für die Tochterfreundin zum Geburtstag. Die Kinder setzen sich danach lustlos ins Auto, während ich noch weitere Wichtigkeiten erledigte (Ofenkäse!!! (das geht trotz Kriegzustand zwischen FrauNebeL und Essen), Brötchen, Geldautomat, Buchhüllen). Viel zu spät ging es dann heim, wieder mit Lieblingslied in Dauerschleife. Dort dann das erneute Erklären des bestehenden Erbsachverhaltes mit der Mutter (ich erklärte nachmittags bereits), dem Gatten, den Kindern, die das alles im Moment mitbekommen, der Schwester am Telefon. Weiter dann das Sichten der Zettel aus der Schulpostmappe der Viertklässlerin mit viel zu kurzfristigen Terminen, das Weiterärgern mit oben bereits beschriebener mail Nummer drei und vier, Abendessen richten, vorher Spülmaschine räumen. Das große Kind habe ich heut nur mit Gute Nacht Kuß allein ins Bett verabschiedet, das kleine wird noch vom Gatten einschlafbegleitet (inwzwischen schläft er sicher auch). Ich blogge, trinke den letzten Martini, pfeiffe auf Medikamente besser mit ohne Alkohol und überlege, ob ich mir die Nacht nicht direkt besser mit Nähen um die Ohren schlagen soll als halbwach oder monsterträumend hier rumzuliegen. Aber erst muss ich wohl noch 4 Schulbücher einbinden. Mit so blöder, widerspenstiger Folie - weil fertige Hüllen waren selbtredend alle ausverkauft oder doof.
Irgendwann mitten am Tag war ich kurz davor, die im Raum stehende AU abzurufen, die mir der Psychiater bereits zwei mal wärmstens empfahl - die ich aber dankend ablehnte. Er entließ mich zuletzt mit den Worten: "für ne Auszeit rufen Sie nur an, schick ich sofort zu."  Ich rief nicht an.

Krönchen richten, geht gleich wieder.

Montag, 4. September 2017

Reden. Oder nicht.



Reden über die Depression. Das ist bei mir schon oft ein Ausschlusskriterium an sich. Denn: wenn es schlimm ist, kann ich nicht reden. Dann habe ich keine Worte. Dann formt sich in meinem Hirn eine zähe, zusammenklebrige schwarzgraue Masse, mit der ich um jedes einzelne gesprochene Wort zu diesem Thema ringen muss. Ein einzelnes „Es geht mir nicht gut“ ist schon schwierig – wenn auch in all den Jahren hier und da leichter geworden. Aber prinzipiell muss ich auch das hart aus der Matscheklebermasse rauskämpfen. Und dieser einzelne Satz beschreibt eigentlichnur ein großes „Reingarnichts“. Er steht in einem ungefüllten Raum des Nicht-gut-gehens, das in jedem solch unglaubliche Facetten haben kann, dass dieser Satz einzeln da stehend eigentlich gar keine Daseinsberechtigung haben dürfte. De facto jedoch kommt es doch an so vielen Stellen überhaupt gar nicht erst soweit, dass dieser Raum im Gegenüber je mit Bildern, Ereignissen oder Gefühlen gefüllt werden könnte. Denn so oft führt schon diese Aussage zum Abbruch des Gespräches an sich. „Oh, das ist schade. Bis dann.“ Ende. Und wenn an der Stelle ich mich schon mit diesen wenigen, absolut indeskriptiven Worten mit meiner Matschekleberei im Hirn so sehr abgemüht habe – schweige beim nächsten Mal wohl wieder. Viel zu viel Anstrengung für nichts, außer vielleicht Enttäuschung. All die Jahre habe ich genau das wieder und wieder ähnlich erlebt. In den Jahren, in denen ich nicht wusste, was das in mir überhaupt ist. In den Jahren, in denen ich realisierte, dass ich psychisch krank bin. In den Jahren dazwischen. In den Jahren, in denen ich Namen für all das lernte. Die Andersartigkeit, mit der man mit Depression (und anderem) lebt, findet keinen Raum in dieser Gesellschaft, so wie selten Andersartigkeit Raum findet. Allenfalls Nischen. Aber die muss man erst mal finden....
Wenn ich aber wie gesagt, weit unten bin, depressiv bin, im Nebel versinke, hat mein Mund keine Worte. Ich glaube, manch einer mag mir da widersprechen, jedoch empfinde ich die meisten bisher geführten - sehr kurzen - Gespräche darüber als oberflächiges Kratzen an etwas, das tief geht, viel viel tiefer. Und wirkliche lange Gespräche habe ich mit Menschen aus meinem realen Leben wohl noch nie face to face geführt.
Wenn ich aber Glück habe in diesen Zeiten, dann kann ich schreiben. Dann sprudeln die Worte aus meinen Fingern oder meiner Hand nur so aufs Papier, als wären sie das Lösungsmittel für die sich verdichtende klebrige Masse der unaussprechlichen Worte in meinem Kopf. Ich kann den Raum, den ein „mir geht es nicht gut“ aufploppen lässt, füllen mit Bildern, Stimmungen, Gefühlen. Mit Ängsten und Bedrohlichkeiten, mit Leere, mit NebeL. Und so auch mit meinem LebeN in dem Moment, in den Zeiten. Ich kann spürbar werden lassen, was in mir ist. Das gelingt mir nicht immer. Aber immer wieder schon. Schon lange Jahre. Mal lyrisch, mal im Fließtext. Mal zusammenhangslos und mal fein säuberlich geordnet, als könnte ich mich innerlich durch das Schreiben selber analysieren und ein Stück weit selber nachvollziehen, was da gerade eigentlich passiert, dessen ich mir zuvor wenig bewusst war. Sehr oft ist mein Schreiben wohl genau dies. Ein Bewusstsein für mich in dem Moment, aber ich verstehe immer erst, wenn ich all dies später lese. Und bin wohl, seit ich schreibe schon, darüber erstaunt, was ich da eigentlich zu tun vermag. Ich staune über die Worte, die ich dann finde. Ich staune über mich. Und ganz manchmal mag ich das Depressionistentum dann sogar ein klein wenig, denn wenn das nicht wäre, wäre ich gar nicht in der Lage solche schweren, bedeutsamen, tiefsinnigen, tragenden Texte zu schreiben. Der Preis ist aber definitiv ein verdammt hoher. Denn auch wenn ich schreiben kann – so ist da noch lange kein Adressat. Und bisher gab es auch diese in meinem realen Leben nicht. Oder kaum. Vor 1,2 Jahren war ich spontan auf einer Lesung, auf dem im Schneeballprinzip selbst verfasste lyrische Texte gelesen wurden. Und ich las zwei oder drei von den Meinen und bekam gute Rückmeldungen. Aber – fast niemand kannte mich und der Kontakt zu denen, die ich kannte, ist ein sehr loser. Den ein oder anderen Text las eine Freundin. Und es war okay. Jedoch ist diese selber betroffen und somit im Thema. Sie verstand. Aber auch hier – der Kontakt ist eng, aber nur sporadisch. Der einzige Raum, in dem mein Schreiben einen Platz findet ist der geschützte Raum bei meiner Therapeutin. Und manchmal findet das Geschreibsel seinen Platz in der vitruellen Welt – die sich mit meiner realen jedoch kaum überlappt.
Ich empfinde es weiterhin so, dass da draußen kein Raum ist für Gedanken-, Gefühls-, und Wahrnehmungs-verirrte Menschen wie mich, die andererseits so „normal“ sind. Dabei weiß ich doch, dass ich nicht alleine bin, dass da so viele sind, die manches von dem kennen, das mich selber bewegt oder lähmt oder gefangen hält oder am Leben hindert. Warum also ist da immer dieses Schweigen? Ich mag gern ermutigen, zu reden. Weil ich finde, dass psychische Erkrankung wie vieles andere einen Raum in der Welt haben muss und nicht totgeschwiegen werden soll. Nichts verdient ein betretenes Wegschauen. Oder ein irritiertes Nicken und bloß schnell weitergehen. Drüber reden ist jedoch auch eine enorme Aufgabe für die meisten Betroffenen und halt nicht „mal eben so“ zu bewerkstelligen. Ich habe hier zumindest meinen Erklärungsversuch, warum ich das kaum kann, dieses Reden.