Reden über die
Depression. Das ist bei mir schon oft ein Ausschlusskriterium an
sich. Denn: wenn es schlimm ist, kann ich nicht reden. Dann habe ich
keine Worte. Dann formt sich in meinem Hirn eine zähe,
zusammenklebrige schwarzgraue Masse, mit der ich um jedes einzelne
gesprochene Wort zu diesem Thema ringen muss. Ein einzelnes „Es
geht mir nicht gut“ ist schon schwierig – wenn auch in all den
Jahren hier und da leichter geworden. Aber prinzipiell muss ich auch
das hart aus der Matscheklebermasse rauskämpfen. Und dieser einzelne
Satz beschreibt eigentlichnur ein großes „Reingarnichts“. Er
steht in einem ungefüllten Raum des Nicht-gut-gehens, das in jedem
solch unglaubliche Facetten haben kann, dass dieser Satz einzeln da
stehend eigentlich gar keine Daseinsberechtigung haben dürfte. De
facto jedoch kommt es doch an so vielen Stellen überhaupt gar nicht
erst soweit, dass dieser Raum im Gegenüber je mit Bildern,
Ereignissen oder Gefühlen gefüllt werden könnte. Denn so oft führt
schon diese Aussage zum Abbruch des Gespräches an sich. „Oh, das
ist schade. Bis dann.“ Ende. Und wenn an der Stelle ich mich schon
mit diesen wenigen, absolut indeskriptiven Worten mit meiner
Matschekleberei im Hirn so sehr abgemüht habe – schweige beim
nächsten Mal wohl wieder. Viel zu viel Anstrengung für nichts,
außer vielleicht Enttäuschung. All die Jahre habe ich genau das
wieder und wieder ähnlich erlebt. In den Jahren, in denen ich nicht
wusste, was das in mir überhaupt ist. In den Jahren, in denen ich
realisierte, dass ich psychisch krank bin. In den Jahren dazwischen.
In den Jahren, in denen ich Namen für all das lernte. Die
Andersartigkeit, mit der man mit Depression (und anderem) lebt,
findet keinen Raum in dieser Gesellschaft, so wie selten
Andersartigkeit Raum findet. Allenfalls Nischen. Aber die muss man
erst mal finden....
Wenn ich aber wie gesagt,
weit unten bin, depressiv bin, im Nebel versinke, hat mein Mund keine
Worte. Ich glaube, manch einer mag mir da widersprechen, jedoch
empfinde ich die meisten bisher geführten - sehr kurzen - Gespräche
darüber als oberflächiges Kratzen an etwas, das tief geht, viel
viel tiefer. Und wirkliche lange Gespräche habe ich mit Menschen aus
meinem realen Leben wohl noch nie face to face geführt.
Wenn ich aber Glück habe
in diesen Zeiten, dann kann ich schreiben. Dann sprudeln die Worte
aus meinen Fingern oder meiner Hand nur so aufs Papier, als wären
sie das Lösungsmittel für die sich verdichtende klebrige Masse der
unaussprechlichen Worte in meinem Kopf. Ich kann den Raum, den ein
„mir geht es nicht gut“ aufploppen lässt, füllen mit Bildern,
Stimmungen, Gefühlen. Mit Ängsten und Bedrohlichkeiten, mit Leere,
mit NebeL. Und so auch mit meinem LebeN in dem Moment, in den Zeiten.
Ich kann spürbar werden lassen, was in mir ist. Das gelingt mir
nicht immer. Aber immer wieder schon. Schon lange Jahre. Mal lyrisch,
mal im Fließtext. Mal zusammenhangslos und mal fein säuberlich
geordnet, als könnte ich mich innerlich durch das Schreiben selber
analysieren und ein Stück weit selber nachvollziehen, was da gerade
eigentlich passiert, dessen ich mir zuvor wenig bewusst war. Sehr oft
ist mein Schreiben wohl genau dies. Ein Bewusstsein für mich in dem
Moment, aber ich verstehe immer erst, wenn ich all dies später
lese. Und bin wohl, seit ich schreibe schon, darüber erstaunt, was
ich da eigentlich zu tun vermag. Ich staune über die Worte, die ich
dann finde. Ich staune über mich. Und ganz manchmal mag ich das
Depressionistentum dann sogar ein klein wenig, denn wenn das nicht
wäre, wäre ich gar nicht in der Lage solche schweren, bedeutsamen,
tiefsinnigen, tragenden Texte zu schreiben. Der Preis ist aber
definitiv ein verdammt hoher. Denn auch wenn ich schreiben kann –
so ist da noch lange kein Adressat. Und bisher gab es auch diese in
meinem realen Leben nicht. Oder kaum. Vor 1,2 Jahren war ich spontan
auf einer Lesung, auf dem im Schneeballprinzip selbst verfasste
lyrische Texte gelesen wurden. Und ich las zwei oder drei von den
Meinen und bekam gute Rückmeldungen. Aber – fast niemand kannte
mich und der Kontakt zu denen, die ich kannte, ist ein sehr loser.
Den ein oder anderen Text las eine Freundin. Und es war okay. Jedoch
ist diese selber betroffen und somit im Thema. Sie verstand. Aber
auch hier – der Kontakt ist eng, aber nur sporadisch. Der einzige
Raum, in dem mein Schreiben einen Platz findet ist der geschützte
Raum bei meiner Therapeutin. Und manchmal findet das Geschreibsel
seinen Platz in der vitruellen Welt – die sich mit meiner realen
jedoch kaum überlappt.
Ich empfinde es weiterhin
so, dass da draußen kein Raum ist für Gedanken-, Gefühls-, und
Wahrnehmungs-verirrte Menschen wie mich, die andererseits so „normal“
sind. Dabei weiß ich doch, dass ich nicht alleine bin, dass da so
viele sind, die manches von dem kennen, das mich selber bewegt oder
lähmt oder gefangen hält oder am Leben hindert. Warum also ist da
immer dieses Schweigen? Ich mag gern ermutigen, zu reden. Weil ich
finde, dass psychische Erkrankung wie vieles andere einen Raum in der
Welt haben muss und nicht totgeschwiegen werden soll. Nichts verdient
ein betretenes Wegschauen. Oder ein irritiertes Nicken und bloß
schnell weitergehen. Drüber reden ist jedoch auch eine enorme
Aufgabe für die meisten Betroffenen und halt nicht „mal eben so“
zu bewerkstelligen. Ich habe hier zumindest meinen Erklärungsversuch,
warum ich das kaum kann, dieses Reden.
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