Mehr als zwölf Jahre ist das große Kind bei uns. Zwölf Jahre. Die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte sie bisher mit uns. Und begann nach und nach, die Welt zu entdecken. In kleinen, sich langsam ausdehnenden Kreisen.
Die erste Fahrt weit fort von uns war eine Klassenreise nach England inklusive eines Besuches in London in diesem Juni. Kurz vorher - Terror in der Hauptstadt. Bedenken in den Kreisen der Klasse, Bedenken auch bei uns. Natürlich fuhr sie dennoch einen Tag nach London. Sie soll doch die Welt entdecken! Sich nicht verstecken vor dem, was sein könnte. Immer und überall. Dennoch war ich froh, als sie nach knapp einer Woche wohlbehalten zurück war.
Nun war sie mit der Familie ihrer Freundin fort. Drei Wochen in Nordspanien, ich sah sie zuletzt am 2. August. Letzte Woche dann ein Anruf von ihr:
"Sag Mama, hier war ein Terroranschlag, aber uns geht es gut" sagte sie zu ihrer Schwester, weil ich gerade Auto fuhr. "Alles klar, ich gehe eben in die Apotheke" - es war kurz vor Ladenschluss - "grüß schön" sprach ich zum kleineren Kind. Und erst in der Apotheke kam in meinem Gehirn überhaupt an, was die Große mir gerade hatte ausrichten lassen.
Barcelona. Sie war in Barcelona.
Ohne ein "Guten Tag" fragte ich die Apothekerinnen, ob ihnen etwas bekannt sei von einem Terroranschlag in Barcelona. Und die Damen schauten nach einer ersten Verwunderung ob dieser Frage ins Internet. Terror in Barcelona.
Meinem Kind ging es gut. Sie saß zum Zeitpunkt des Telefonates in einem fastfood Restaurant und freute sich mit ihrer Freundin, die unter Zöliakie leidet, dass es dort glutenfreie Burger gibt. Und sie hörten permanent Sirenen.
Den Rest des Abends verbrachten sie damit, aus Barcelona heraus zu gelangen. Und wir verbrachten den Rest des Abends vor dem Fernseher. Einerseits krank vor Sorge. Andererseits entrückt in die Unwirklichkeit, gleichzeitig stets Nachrichten mit dem Kind austauschend. Irgendwo mitten in all diesen Straßensperren stand das Kind, das die meiste Zeit seines Lebens mit uns verbracht hatte und nun weit, weit weg war, an einem Ort, wo der Terror noch nicht gebannt schien. Und wir Eltern waren nicht mal bei ihr. Gegen Mitternacht eine Nachricht, dass sie im 1 1/2 Stunden entfernten Urlaubsort angekommen seien. Durchatmen.
Seit soeben ist sie wieder daheim.
Sie hatten eine kleine Bootsfahrt gemacht an diesem Tag. Und liefen weniger als eine Stunde vor dem Attentat über eben dieses Stück der LasRamblas. Weniger als sechzig Minuten.
Dankbar.
Und getroffen.
Und ohnmächtig.
Sie ist da, wo sie nun sein sollte. Gesund und wohlbehalten hier bei uns.
Und sie wird weiter hinausziehen in die Welt, egal wie erschüttert ich auch bin. Ich kann sie nicht festhalten. Ich kann sie nicht beschützen vor der Welt - und will es eigentlich auch gar nicht, weil sie doch lernen muss, in ebendieser zu leben.
Und dennoch ist da neben dieser unendlichen Dankbarkeit eine fast ebenso große lähmende Betroffenheit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen