Samstag, 27. Mai 2017

Band

Da schnürt sich ein Band um mein Herz, mal locker und unbemerkt, zumeist aber gespannt und umfassend. Es drückt mich im Innen zusammen, sodass die Brust mir eng wird, die Luft keinen Raum mehr zu finden scheint. Egal wie sehr ich auch atme, wie tief ein, wie tief aus, das Gefühl bleibt. Das Gefühl, keine Luft zu bekommen, nie genug; das Gefühl, unter einem Kissen erdrückt zu liegen; das Gefühl, es gibt keinen Platz für das, was mich doch eigentlich am Leben hält. Es schmerzt fast dauerhaft, wie ein großer, zäher, innerer, verklebter Klumpen. Es ist andererseits aber bereits so vertraut, dass ich es manchmal erst spüre, wenn ich höre, wie sehr ich nach Luft gierend atme, als sei ich gerade kilometerweit untrainiert gelaufen. 
Ich weiß, es ist viel. Zu viel vielleicht. Und ich weiß, es ist kein Ende in Sicht. In Wahrheit ist wohl dies hier erst der Beginn. 


Abschiede

Abschiede rühren so eine zarte Saite an in mir; vor allem Abschiede von den Menschen, die in irgendeiner Form bedeutsam sind für mich - wobei diese Bedeutsamkeit die verschiedensten Ausprägungen, Aspekte und vorhergegangenen Begegnungen beinhalten kann. So  wird sie angeschlagen, die Saite in dem einen Moment der Abschiednahme, und beginnt zu schwingen in mir. Zu tönen, und der Ton trägt sich fort und füllt aus. Füllt mich aus und berührt. Er findet seinesgleichen, der Ton, oder sein Pendant und setzt wiederum einen weiteren Ton in Bewegung. Einen weiteren Ton, der einst gewesen ist, oder vielleicht gerade erst war. Oder auch der, der bevorsteht und so unausweichlich ist. Und davon finden sich manche, ganz nah oder weit fort. Und so vermischen die Anschläge der Saiten sich in mir zu einem einzigen, harmonischen, doch klagenden Klang in Moll, der Türen öffnet, die ich doch so gern verschließe. Denn all zu oft tut es weh, das Hinschauen, das Hineinschauen in die Räume hinter diesen Türen. Viel zu oft wohnt dem entstehenden Anfang eben kein Zauber inne, sondern viel zu viel Schmerz, viel zu viel drohendes und wahrhaftiges Neuland. Viel zu oft ist das Ende eben mehr ein endgültiges, schmerzhaftes, unausweíchliches, zu verkraften müssendes Ende, als eine Chance auf einen vielleicht fruchtbaren Neubeginn. 
Abschiede beinhalten verlustig gehende Vergangenheit, abgelöst von fremder, sich neu finden müssender Gegenwart mit ungewisser Zukunft. Und an so vielen Stellen ist eben dies schlicht und einfach schmerzhaft und zunächst mal in keiner Form gewinnbringend. Und wenn sich dann, bedingt durch den Anschlag des einen Abschiedes, all die Innenklänge vereinen, so entsteht ein Klagelied, das an den Fasern meines Seins zerrt, das mein Innen erfüllt mit Trauer, Unbehagen und Schmerz. 
Und es geleitet mich im Dunkeln in den Schlaf, mit der Hoffnung in mir, dass es bald verklingen möge, da es mich mit so großer Schwere erfüllt.

Freitag, 5. Mai 2017

WMDEDGT Mai 2017

Frau Brüllen fragt wieder: "Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?" Weitere Tagebuchbloggerei findet sich dann hier.

Ein normaler Arbeits- und Schultag für alle. Der erste Wecker klingelt um halb sechs, der letzte um zehn nach sechs. Der Reihe nach verschwinden alle im Badezimmer unter der Dusche, ich erledige zuvor noch diese und jene Hausarbeit. HerrNebeL schneidet nach dem Duschen noch Obst für alle. Die drei Anderen frühstücken, während ich unter der Dusche stehe. Ab sieben Uhr verlassen wir das Haus - das grosse Mädchen macht den Anfang, weil der Bus kommt. Ich hatte eigentlich geplant, über die kleine Nachbarstadt zur Arbeit zu fahren, um noch der Kinderärztin etwas vorbeizubringen, was aber im Gewinnen der Substanz, die ich vorbeibringen wollte, scheiterte. Also heute doch der gewohnte Weg: Supermarkt, Bäcker und dann in die Klinik. das kleine Kind wird freitags von HerrnNebeL zur Schule gebracht, beziehungsweise in der Nähe der Schule abgesetzt.
In der Klinik angekommen, schnappe ich mir die Wäsche von mir und den Kolleginnen und düse in die Wäschekammer, um neue Arbeitskleidung - weisse Hose und blaues Polohemd - für alle die Kolleginnen zu holen, deren Büro im Umkreis des meinen ist. Insgesamt sind wir derzeit 12 Frauen, von denen 6 nebeneinander ein Büro haben. Naja, fast, ich teile mein Büro mit der lieben jüngsten Kollegin. Anschließend schaue ich mir die Tagesplanung an - ich bekomme die meisten Termine vom Planungsbüro vorgegeben. Bis auf einen Patienten kenne ich alle und kann recht zügig die Therapien mehr oder weniger - mit Material zurechtlegen oder Struktur im Kopf durchgehen - planen. Bevor ich auf Station gehe, quatsche ich noch mit der lieben langjährigen Freundin und tausche mit ihr Infos bezüglich einer Patientin aus.
Um viertel vor neun sitze ich in der Frühbesprechung "meiner" Station mit allen Therapeuten, einem Arzt - der andere befindet sich auf einer Fortbildung, einer Stationsassistentin und einem Kollegen aus der Pflege. Wir gehen die Infos des gestrigen Nachmittages und der Nacht durch. Auf dem Stationsteil, in dem ich am meisten arbeite, herrscht gerade viel Unruhe. Es ist ein geschützter Bereich, in dem vorwiegend Patienten aufgenommen sind, die vor allem aufgrund von Orientierungs-und Gedächtnisdefiziten sowie Problemen in der Krankheitswahrnehmung einen besonders strukturierten Rahmen benötigen. Das beinhaltet auch, dass der Bereich schlichtweg geschlossen ist. Alle Patienten sind neurologisch erkrankt - Patienten mit Hirnschädigungen nach Reanimationen, Schlaganfällen, Schädel-Hirn-Traumen oder Enzephalitiden beispielsweise. Hier sehe und therapiere ich heute morgen fünf Patienten - mal auf der Station, mal in meinem Büro. Anschliessend habe ich kurz Zeit, Schreibkram zu erledigen und meinen morgigen Dienst kurz vor zu planen, bis ich zu dem nächsten bereits wartenden Patienten auf einer anderen Station aufbreche. Mittendrin sammele ich noch eine nicht recht orientierte Patientin in den Fluren auf und geleite sie zu ihrem Zimmer. Es folgt eine halbe Stunde Mittagspause, heute mit meiner obligaorischen Suppe mit Laugengebäck. Ich mache Pause mit meinen Sprachtherapiekolleginnen im Teamraum und wir lachen heute mal wieder gemeinsam über dies und das, und werden darüber tatsächlich ein klein wenig unpünktlich. Um 13 Uhr gehen die Therapien weiter. Zwei Patienten kommen zu mir, und die dritte muss ich auf dem Zimmer aufsuchen, da sie nicht mobil ist. Anschließend bleibt noch ein halbes Stündchen am Rechner, zum Umziehen, Spülen und Nachbereiten. Zu guter Letzt ärgere ich noch die Sprachtherapiechefin, in dem ich ihre Schranktüre zuknote. Wir sind ein seit Jahren eingespieltes Team, was gegenseitige Ärgereien angeht. Zugegebenermaßen bekommt sie immer am meisten ab - aber wir haben viel Spaß. Bei all der Schwere, die uns tagtäglich - mal mehr und mal weniger - umgibt - ist es sehr schön, auch gemeinsam herumzuflachsen. Natürlich verlasse ich die Klinik zu spät und mache mich auf den Weg zur Schule des kleinen Kindeleins  und komme - wie immer - gerade semipünktlich. Wir beide fahren ins Kirchencafe, obwohl die große Schwester heute kein Tanztraining um die Ecke hat, weshalb wir da normalerweise auf sie warten. Nach einer kleinen Kaffee- und Kuchenstärkung machen wir uns auf den Weg in die Fußgängerzone des einen Stadtteils, um dem großen Kindelein die ersten Nylonstrümpfe zu kaufen, da nächstens eine Nichtenkonfirmation ansteht. Das kleine Kindelein sollte auch eine bekommen - beide haben bereits passende Kleider - aber für sie gab es keine. Also müssen wir nächstens noch in die Fußgängerzone des anderen Stadtteils. Zuhause angekommen, bequatschen HerrNebeL und ich, ob, wann, wo und wie wir nun ein neues altes Auto kaufen oder nicht. Zudem telefoniere ich mit dem Stiefvater, der im Krankenhaus ist, um neue Infos zur anstehenden Chemotherapie zu bekommen. Dann blogge ich schnell, bevor meine Frendin mich einsammelt, und wir in die Stadt  zum allmonatlichen Stammtisch der nicht mehr aktiven Hockeydamen des einen Stadtteils fahren. Hier löste sich kürzlich die Damenmannschaft auf, in der ich  rund 25  viele Jahre spielte. Um uns aber nicht aus den Augen zu verlieren, richteten wir den Stammtisch ein. Hier werde ich gleich auf manch eine in der Twittertimeline zum #freitagabendalk anstoßen - allerdings ohne dass die Menschen im reallife das merken werden. Schon auch irgendwie so ein klein wenig spacig - aber schön ;-). Ich hoffe, dass ich noch vor Ende des Tages im Bett sein werde - da ich ja morgen bis mittags arbeiten muss. In dem Sinne: einen schönen Freitag Abend!

Dienstag, 2. Mai 2017

Vom Fühlen und Gehen

Ich bin meisterhaft im Nicht Fühlen. Nicht Fühlen der Gefühle, die mir in meinem tiefen Inneren teilweise durchaus bewusst sind. Oder besser der Gefühle, deren Existenz auf meiner Verstandesebene logisch erscheinen. Deren Daseinsberichtigung absolut unzweifelhaft ist. Ich kann sogar heute oft manchmal diese auch recht genau zur Sprache bringen: Ich weiß, da ist Traurigkeit. Ich weiß, da ist Verzweiflung. Enttäuschung. Niedergeschlagenheit.Trauer. Angst. Aber das Wissen um ebendiese Gefühle bedeutet noch lange nicht, dass sie für mich spürbar sind. Der Verstand mag sehen und verstehen, vielleicht. Aber das Gefühl findet keinen Raum in mir. Es strömt und fließt nicht in meine Mitte, breitet sich nicht aus, sondern es verharrt verkapselt in irgendeinem hinterletzten Winkelchen meines Selbst. Ich trage es zumeist stillschweigend mit mir herum. Selbst wenn ich hier und da sagen kann, dass ich traurig bin, so bleibt das Innen seltsam unberührt, beherrscht, abwesend, kalt. Auch wenn das Wissen um diese Traurigkeit da ist - ich fühle sie nicht. 
So könnte man annehmen, ich sei gemeinhin ein eher kalter, wenig empathischer Mensch.Wie sollte ich, wenn ich meine eigenen Gefühle verschlossen in mir herumtrage, in der Lage sein, anderen Menschen empathisch zu begegnen?  Die Empathie jedoch liegt in dem Erspüren und Nachempfinden der Gefühle, die nicht die Meinen sind. Ich kann sehr nah dran sein an Anderen, kann deren Gefühle mitfühlen, mitweinen,sie trösten oder aufbauen, mich hineinversetzen in sie, versprachlichen, wenn ihnen die Worte fehlen. Das Spüren liegt hier im Außen. Das kann ich gut. Im Inneren jedoch bleibt zumeist eine große Distanz zwischen dem, was ich vielleicht weiß und dem, was ich fühle. Manchmal jedoch ist es auch heute noch so, dass ich lange nicht weiß, was fein säuberlich verpackt irgendwo in mir schlummert, bis irgendwann ein Zipfelchen davon angerührt wird, und mein Verstand zu folgen vermag. Aber auch das gelingt heute oft nicht. Da sind wenig Räume, in denen diese Gefühle in der Lage sind, sich auszubreiten. Es sind diese schmerzlichen, die mich zu verzehren drohen, die mir den Boden unter den Füßen rauben, die die Kontrolle des Verstandes auszuschalten in der Lage sind und mich überfluten könnten. Nach wie vor traue ich mir selber wohl nicht über den Weg, dies aushalten zu können. Eine Frage von Willen ist das allerdings nicht. Ich würde beispielsweise  gerne weinen und spüren können, wie traurig ich bin über den unausweichlichen, drohenden Tod des Stiefvaters, mit dem ich mehr Zeit meines Lebens eng verbracht habe als mit meinem Vater, um einfach mal ein bisschen Last abzugeben - auch wenn ich genau weiß, dass sich die Grundsituation dadurch nicht verändern wird. Es stellt sich so nie ein Gefühl von Befreiung ein, weil die Traurigkeit weiter in mir wohnt und wächst - wie so manch anderes verborgenes, getragenes Gefühl eben auch. Neben den fehlenden Räumen, in denen ich Zugang zu meinem Gefühlen finde - oder sie zu mir - sind die Räume, die potentielle Räume sein könnten - zumindest auf Verstandesebene Sorgen versprachlicht loszuwerden - in der Regel belegt. Belegt mit den Gefühlen und Sorgen derer, die mir nahestehen. Zweifelsohne bin ich gerne da, höre, spüre und bespreche das, was nicht Meines ist. Diesen Raum zu beanspruchen auch für mich, bin ich jedoch nicht in der Lage. Oft, sehr oft, fühlt es sich falsch an. Fehlplatzig. Vor allem auch dann, wenn der Raum schon so belegt ist. Zweifelsohne ist es mir fremd, bewusst Raum zu beanspruchen, Raum oder Platz zu nehmen, wie es zumeist auch überhaupt schwierig für mich ist, zu nehmen. Geben liegt mir einfach mehr. Und auch, wenn da so manches Mal Signale sind, die mir ein Stück weit Raum für mich aufzeigen, umschiffe ich sie gekonnt. Weil das Gewohnte sich eben auf ausgetretenen Pfaden bewegt und sich nur schwerlich auf die zugewucherten Seitenwege wagt. Wobei ich rückblickend sicher sagen muss, dass sich schon so manche zugewucherten Wege zu ganz passabel durchgängigen, lichten Alleen gewandelt haben. Wer weiss, wann die Bewusstheit mir auch in diesem Punkt irgendwann den Seitenweg aufzeigt, dem ich nicht mehr ausweichen kann. Oder möchte.