Ich bin meisterhaft im Nicht Fühlen. Nicht Fühlen der Gefühle, die mir in meinem tiefen Inneren teilweise durchaus bewusst sind. Oder besser der Gefühle, deren Existenz auf meiner Verstandesebene logisch erscheinen. Deren Daseinsberichtigung absolut unzweifelhaft ist. Ich kann sogar heute oft manchmal diese auch recht genau zur Sprache bringen: Ich weiß, da ist Traurigkeit. Ich weiß, da ist Verzweiflung. Enttäuschung. Niedergeschlagenheit.Trauer. Angst. Aber das Wissen um ebendiese Gefühle bedeutet noch lange nicht, dass sie für mich spürbar sind. Der Verstand mag sehen und verstehen, vielleicht. Aber das Gefühl findet keinen Raum in mir. Es strömt und fließt nicht in meine Mitte, breitet sich nicht aus, sondern es verharrt verkapselt in irgendeinem hinterletzten Winkelchen meines Selbst. Ich trage es zumeist stillschweigend mit mir herum. Selbst wenn ich hier und da sagen kann, dass ich traurig bin, so bleibt das Innen seltsam unberührt, beherrscht, abwesend, kalt. Auch wenn das Wissen um diese Traurigkeit da ist - ich fühle sie nicht.
So könnte man annehmen, ich sei gemeinhin ein eher kalter, wenig empathischer Mensch.Wie sollte ich, wenn ich meine eigenen Gefühle verschlossen in mir herumtrage, in der Lage sein, anderen Menschen empathisch zu begegnen? Die Empathie jedoch liegt in dem Erspüren und Nachempfinden der Gefühle, die nicht die Meinen sind. Ich kann sehr nah dran sein an Anderen, kann deren Gefühle mitfühlen, mitweinen,sie trösten oder aufbauen, mich hineinversetzen in sie, versprachlichen, wenn ihnen die Worte fehlen. Das Spüren liegt hier im Außen. Das kann ich gut. Im Inneren jedoch bleibt zumeist eine große Distanz zwischen dem, was ich vielleicht weiß und dem, was ich fühle. Manchmal jedoch ist es auch heute noch so, dass ich lange nicht weiß, was fein säuberlich verpackt irgendwo in mir schlummert, bis irgendwann ein Zipfelchen davon angerührt wird, und mein Verstand zu folgen vermag. Aber auch das gelingt heute oft nicht. Da sind wenig Räume, in denen diese Gefühle in der Lage sind, sich auszubreiten. Es sind diese schmerzlichen, die mich zu verzehren drohen, die mir den Boden unter den Füßen rauben, die die Kontrolle des Verstandes auszuschalten in der Lage sind und mich überfluten könnten. Nach wie vor traue ich mir selber wohl nicht über den Weg, dies aushalten zu können. Eine Frage von Willen ist das allerdings nicht. Ich würde beispielsweise gerne weinen und spüren können, wie traurig ich bin über den unausweichlichen, drohenden Tod des Stiefvaters, mit dem ich mehr Zeit meines Lebens eng verbracht habe als mit meinem Vater, um einfach mal ein bisschen Last abzugeben - auch wenn ich genau weiß, dass sich die Grundsituation dadurch nicht verändern wird. Es stellt sich so nie ein Gefühl von Befreiung ein, weil die Traurigkeit weiter in mir wohnt und wächst - wie so manch anderes verborgenes, getragenes Gefühl eben auch. Neben den fehlenden Räumen, in denen ich Zugang zu meinem Gefühlen finde - oder sie zu mir - sind die Räume, die potentielle Räume sein könnten - zumindest auf Verstandesebene Sorgen versprachlicht loszuwerden - in der Regel belegt. Belegt mit den Gefühlen und Sorgen derer, die mir nahestehen. Zweifelsohne bin ich gerne da, höre, spüre und bespreche das, was nicht Meines ist. Diesen Raum zu beanspruchen auch für mich, bin ich jedoch nicht in der Lage. Oft, sehr oft, fühlt es sich falsch an. Fehlplatzig. Vor allem auch dann, wenn der Raum schon so belegt ist. Zweifelsohne ist es mir fremd, bewusst Raum zu beanspruchen, Raum oder Platz zu nehmen, wie es zumeist auch überhaupt schwierig für mich ist, zu nehmen. Geben liegt mir einfach mehr. Und auch, wenn da so manches Mal Signale sind, die mir ein Stück weit Raum für mich aufzeigen, umschiffe ich sie gekonnt. Weil das Gewohnte sich eben auf ausgetretenen Pfaden bewegt und sich nur schwerlich auf die zugewucherten Seitenwege wagt. Wobei ich rückblickend sicher sagen muss, dass sich schon so manche zugewucherten Wege zu ganz passabel durchgängigen, lichten Alleen gewandelt haben. Wer weiss, wann die Bewusstheit mir auch in diesem Punkt irgendwann den Seitenweg aufzeigt, dem ich nicht mehr ausweichen kann. Oder möchte.
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