Frau
Brüllen fragt wie jeden 5. eines Monats seit einigen Jahren "Was
Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?". Entstanden ist diese Idee
von ihr nach einer ganzen Woche Tagebuchbloggen im Jahr 2013. Ich war damals
bereits dabei und mache inzwischen wieder gerne mit.
"Was habe ich heute schon zu sagen, zu erzählen von meinem Tag? Nichts, einfach rein gar nichts, weil einfach nichts geht, nichts passiert und alles schrecklich ist."
Meine Gedanken am Morgen, die demnach in keiner Form eine Teilnahme am heutigen WmdedgT? zuließen. Zumal der Alltag ja gar keiner ist, so im Urlaub. Und darüber hinaus gar nichts alltäglich ist. Aber: wer definiert denn das? Meine Lebenswirklichkeit ist mein Alltag, wie und was auch eben immer gerade ist. Und letzlich stellt Tagebuchbloggen gar nicht den ANspruch, alltäglich zu sein. Und gerade besteht unser Alltag aus einer derzeit gefühlt schwer mehrfach depressiven Mutter mit diversen mehr oder weniger leicht aushaltbaren Symptomen drumherum und mittendrin und einem erschöpfungsdepressivem Vater, 2 wunderbaren halbwüchsigen Mädchen mitten in und um die Pubertät, die alle mit meiner zunehmend dementer werdenden Mutter zusammenleben (die aber nicht mit im Urlaub ist).
Seit gestern sind wir auf der geliebten Insel im Kattegat. Ein Stück heim kommen. In einem der Häuser, die wir schon kennen, mit einem der für uns schönsten Blicke. Ich dachte erst, ich schaffe heute nichts, habe heute nichts geschafft. Stimmt nicht, als ich beginne, meinen Blickwinkel zu verändern und die andere Seite zu betrachten: eben nicht "was habe ich heute alles nicht geschafft?", sondern" was habe ich eigentlich heute geschafft?"
Ich schaffe es, vor allen Anderen aufzustehen, morgens um 08.00 Uhr. Was auch ein klitzekleinwenig daran liegen mag, dass das kleine Mädchen des Nachts in unser Bett kam. Und das Bett etwa 1,20 breit ist. Ich habe es geschafft, mir einen Kaffee zu machen, dem am Tag noch einige Weitere folgen werden. Die nächsten zwei Stunden habe ich es geschafft, Ruhe auszuhalten. Mit vielen Abstrichen zweifelsohne, die aber nur im Innern stattfinden. Gegen 10 Uhr kommt das kleine Mädchen, und beginnt irgendwann, den gestern angefangenen Film auf einem Mobilgerät zu Ende zu schauen. Sie möchte nicht allein im Wohnzimmer bleiben, aber ich bin so erschöpft, dass ich mich nochmal hinlegen muss. So gehen wir in ihr Zimmer, das auch ein 1,20 m Bett hat und legen uns hinein. Sie schaut weiter, ich schlafe nochmals eine Weile. Im Sommerhaus unter der Decke mit Fleecejacke, -schal, langer Hose und Socken. Das Kind - dem allerdings selten überhaupt kalt ist - in Hot Pant und Top. Ohne Decke natürlich. Gegen Mittag wache ich auf und wir stehen erneut auf. HerrNebeL schläft noch, das große Kind hat sein Zimmer quasi noch nicht verlassen. Das ist auch den mobilen Endgeräten und dem Wlan geschuldet. Ich bin immerhin ganz zufrieden, dass sie beide nur Filme oder Serien schauen.
Klar sind die Mädchen alt genug, sich etwas zu Essen zu nehmen oder selber zu machen. Aber am liebsten haben sie es denoch in mundgerechten Happen, vor allem wenn es wohlmöglich etwas Gesundes ist. Also schaffe ich es tatsächlich, einen Obstteller parat zu machen, den sie sich teilen. Irgendwann taucht auch HerrNebeL auf, fast ausgeruht nach 12, 13 Stunden Schlaf. An den beiden Tagen davor waren wir rund 40 Stunden auf den Beinen, fuhren die Nacht hindurch, verabschiedeten den Patensohn von HerrnNebeL, der ein Austauschjahr in Brasilien macht, packten Auto und Anhänger, luden ihn aus und dergleichen, sodass es kaum verwunderlich wäre, sichnach so viel Schlaf nicht erholt zu fühlen.
Ich schaffe es, mich online um Geldgeschäfte zu kümmern, da wir - finanziell immer am Limit lebend - manches nicht "mal eben so" abfangen können. Wie zum Beispiel das zu einem völlig anderen Zeitpunkt als mein Gehalt eingehende Krankengeld. Ich schaffe es, mich zum Frühstück der Familie mit einem Kaffee dazu zusetzen, nach draussen auf die Terrasse. Auch wenn es lange dauert, bis ich schaffe, dafür vom Sofa aufzustehen. Wir alle schaffen gemeinsam schöne und interessante Unterhaltungen dabei. Ich schaffe es, dem großen Kind zu sagen, wie sehr ich seine gute Laune und so lebensfrohe Art liebe - und auch wie schwer ich sie im Moment nur aushalten kann. Ich schaffe es, der Chefin eine Bescheinigung zu mailen, die ich vergaß in Deutschland noch zur Post zu geben. Ich schaffe es nicht bis ans Meer, nicht mal das Grundstück zu verlassen, aber ich hab den Blick trotzdem schön, immerhin.
Und ich schaffe es, das hinzunehmen. Ich schaffe es, nicht nachzufragen, was daheim passiert ist, ob die Mutter wunderliche Dinge gemacht hat und was (wovon leider zumeist auszugehen ist), ich schaffe es, nicht zu fragen, ob das Haus noch steht. Ich schaffe es, ein Kapitel zu lesen und ich schaffe es, mit mal dem einen und mal dem anderen Kind an der Videokonsole zu spielen (das mag ich tatsächlich schon immer, bekennender 90er Jahre Nintendo Fan...). Ich schaffe es, eine Kleinigkeit zu essen, wenn auch etwas Ungesundes, aber das stört grad nicht. Ich schaffe es, dies hier zu schreiben. Ich schaffe es, mich nicht zu ärgern darüer, dass meine Worte hier so
wenig das spiegeln, was in mir ist, weil es nämlich trotzdem schwer ist, zu
schreiben. Ich schaffe es, einige geschriebene Worte mit der Freundin mit Frühchen auszutauschen, die sowohl mir als auch ihr gut tun. Ich schaffe es, den Standort zu wechseln - und hab den Blick noch schöner.
Ich schaffe es, mir nur drei oder viermal durch die Ohren schießen zu wollen, weil sie momentan so unglaublich laut sind, statt viele Male mehr. Und das ist hier eine Kunst, denn hier ist es still. Sehr, sehr still.
Ich schaffe es, mit der Familie am Abendessenstisch zu sitzen. Und vielleicht schaffe ich es auch noch zu duschen. Es ist schwer, verdammt schwer, aber ich schaffe es, mich auszuhalten anstatt mir ein paar Stunden Gelassenheit mit dem einen Medikament oder Ruhe durch "Ausschalten" mit dem anderen Medikament zu erschleichen (selbstredend ärztlich besprochen und verordnet).
So betrachtet hab ich vieles geschafft heute. Auch, wenn ich eigentlich nur sehr antriebslos herumgesessen habe. Auch, wenn es mir gerade mehr als bescheiden geht, und mir alles sehr hoffnungslos erscheint. Aber wie gesagt, letzlich ist es dem "Tagebuch" auch völlig einerlei, was wer "schafft". Einblicke eben in andere Lebenswelten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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